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Wein ist wie Theater

Liebesszene bei Azul y Garanza.
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Was kommt dabei raus, wenn man Schriftstellern eine Flasche Wein schickt? Antwort: LITERatur. Autor Maik Brüggemeyer  trank einen Bio-Rotwein aus dem Baskenland und schrieb los.
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Als wir nach einem kleinen Mahl im „Doc Pommes“ gegen acht das „Earhart“ betraten, war noch nicht viel los. Hinter der Theke stand Ludger Todeskino, ein ehemaliger Werbegrafiker, der nach einem Burn-Out große Angst gehabt hatte, in seinen Job zurück zu kehren und dann stattdessen eine Kneipe mit kleiner Bühne eröffnete. Mitte 2010 war das gewesen. Damals hatte noch niemand damit gerechnet, Moabit könnte mal zum Szeneviertel werden. Und heute rechnet immer noch niemand damit. So Avantgarde war Ludger schon vor fünf Jahren.

„Wir trinken heute Wein“, sagte Jay oder vielmehr: Er befahl es.

„Wieso?“, wollte ich immerhin wissen.

„Mit Bier betrinkt man sich. Also man trinkt es, um sich zu betrinken. Aber Wein trinkt man des Genusses und der Kultur wegen.“

„Aber so wie ich dich kenne, bist du am Ende des Abends trotzdem betrunken.“

„Ja, aber nicht vorsätzlich. Es passiert halt einfach, weil man der Kulturtechnik des Weintrinkens frönt. Das ist wie ins Theater gehen. Man hat dabei kein schlechtes Gewissen. Ich muss noch drei Texte schreiben bis morgen und habe Frau und Kind zu Hause. Ich kann mich nicht einfach so betrinken.“

„Verstehe.“

Keine Ahnung, wann Jay zwischen seinen neuesten Theorien, die vermutlich wie immer mehr schlecht als recht von einem seiner Gewährsmänner – entweder einem Franzosen oder einem deutschen Romantiker – entlehnt waren, Zeit gehabt hatte, zwei Wein zu bestellen . Vielleicht war das eher gestisch abgelaufen. Jedenfalls platzierte Ludger zwei Gläser vor uns auf den Tresen und goss ein. Kultiviert halbvoll.

„Aah“, seufzte Jay. „Allein diese Farbe! Ein … ins Bläuliche schimmerndes Rot. Rot und blau – die Liebe und der Blues. Alles drin. Ein dialektischer Wein.“

„Wie bitte?“

„Kannst du dich an die ,Peanuts’ erinnern? Wie Charlie Brown sich in das kleine rothaarige Mädchen verliebt und sich nicht traut, sie anzusprechen?“

„Dunkel.“

„Das tolle daran ist ja, dass man das Mädchen nie sieht. Es bleibt eine unerfüllte Sehnsucht, ein Geist, eine Chiffre. Deshalb ist Charles M. Schulz einer der wenigen weißen Bluesmänner, die ich gelten lasse.“

„Kann es sein, dass du heut Nachmittag schon was getrunken hast?“

„Papperlapapp!“ Jay nippte an seinem Glas. „Gar nicht schlecht. Erdig irgendwie. Aber mit etwas, das darüber liegt. So wie die hohen Bläser in einem Stück von Charlie Mingus.“

„Ich würde eher sagen: fruchtig, waldig. Waldbeeren oder so.“

„Gib mal die Flasche, Ludger!“

Der Wirt holte das Behältnis des edlen Tropfens unter der Theke hervor. Und Jay schaute fachmännisch auf das Etikett. „Asuligarranza“, murmelte er.

„Wie bitte?“

„Azul y Garanza steht da drauf. Was heißt denn das?“

Wir hoben unwissend die Schultern.

„Aber Ludger, du müsstest das doch wissen. Du bist doch ein halber Südländer mit deinem Namen, oder? Todeskino. Das kommt doch nicht von hier.“

„Das kommt vom Italienischen Todeschino“, brummte Ludger während er ein Bier zapfte. „Was soviel heißt wie ,Der nach Deutschland Gereiste’. Aber der Wein kommt aus Spanien. Nordspanien, um genau zu sein. Aus Navarra.“

„Diese Farbe erinnert mich an irgendwas“, sinnierte Jay, der schon gar nicht mehr zuhörte und das Glas fachmännisch unter das allerdings wenig erhellende funzelige Barlicht hielt. „Hm, rot und blau, red and blue, rote Haare … blaue Augen …“

„Lee Remick.“

„Was?“

„Die Schauspielerin. Lee Remick. Die hatte rote Haare und blaue Augen. Konnte man nur selten sehen, weil ihre bekanntesten Filme alle in Schwarz-Weiß waren.“

„Du meinst, sie war ähnlich unsichtbar wie das kleine rothaarige Mädchen?“

„Könnte man sagen, ja.“

Wir schwiegen, lauschten der Musik. Willie Nelson sang „Blues Eyes Crying In The Rain“.

„Rote Haare! Das ist es!“, rief Jay plötzlich aus.

„Das ist was?“

„Na, das ist die Lösung.“ Er begann zu rezitieren: „Early one mornin’ the sun was shining. I was layin’ in bed. Wond’rin’ if she changed at all. If her hair was still red. Bob Dylan ist das. ,Tangled Up In Blue’. In BLUE, verstehste?“

„Ja, ich verstehe. Blue heißt blau. Bob Dylan ist eigentlich Charlie Brown und verliebt in Lee Remick.“

„Was? Ach, Quatsch, nein. Ich meine, das Cover der Platte, auf der das Lied drauf ist – ,Blood On The Tracks’, der Balken neben dem Dylan-Porträt … der hat die gleiche Farbe wie dieser Wein.“

„Hast Recht. Und hat Dylan seine Liedtexte nicht damals auch in ein rotes Notizbuch geschrieben?“

„Stimmt, ja.“

„Und singt er nicht noch in einem anderen Song auf der Platte auch über eine Frau mit roten Haaren? Crimson hair across your face, oder so?“

„Crimson?“

„Karmesinrot.“

„Und Dylan ist Weintrinker.“

„Beaujolais aber.“

„Ja, der Wein der Dichter. Der den Gedanken die nötige Schwere verleiht. Wein inspiriert halt.“

„Man wird vielleicht ein wenig pathetisch davon.“

„Ach was! Ich habe mich übrigens immer gefragt, was dieser Songtitel eigentlich bedeutet – ,Tangled-Up In Blue’. Ich glaube, jetzt weiß ich es.“

„Was denn?“

„Das ist ein Bild für den Rotweinrausch. Man betrinkt sich nicht, man verstrickt sich in und mit diesen Farben. Wenn ich heute heimgehe, bin ich nicht einfach nur blau, da schimmert doch ein edles Karmesinrot in meiner Seele.“

Über den Autor: Maik Brüggemeyer, Jahrgang 1976, hat in Münster allerlei Geistes- und Sozialwissenschaftliches studiert und auch abgeschlossen. Seit 2001 arbeitet er beim Magazin „Rolling Stone“. Dort schreibt er über Musik, Literatur und Film. Sein erster Roman „Das Da-Da-Da-Sein“ erschien 2011 im Aufbau Verlag. 2015 sein zweites Buch „Catfish. Ein Bob-Dylan-Roman“ bei Metrolit.

 

Datum: 19.10.2017
 

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