X
Newsletter
X
X
Login
Passwort vergessen?


Konto erstellen

Mein Pirat aus der Pfalz

Vergären wird überschätzt.
Kommentare
Ähnliche Weine
Ähnliche Artikel
Was kommt dabei raus, wenn man Schriftstellern eine Flasche Wein schickt? Antwort: LITERatur. Juliane Eva Reichert  trank einen Weißwein mit Totenkopf und Schwertern und schrieb los...
Anzeige

„Die Form ist flüssig, der Sinn ist es aber noch mehr,“ steht da. Völlig unvermittelt und inmitten des einsturzgefährdeten Formularstapels lugt läppisch eine Zeichnung hervor, als würde sie bürokratische Belanglosigkeiten geradezu belächeln. Sie zeigt eine von Hand gezeichnete Wegskizze vom Bahnhof zum Hotel.

Diese Skizze bildeten lediglich den Weg selbst ab – keine Kirche, die es zu passieren gälte, kein Kreuzung und kein Haus. Bloß ein Weg war da und nichts gab es, das nicht an ihm gelegen hätte. Und gleichwohl auf dem Zettel neben der Zeile nichts zu sehen war, lagen doch tausende Dinge auf dem Weg vom Bahnhof zum Hotel. Er hätte schließlich genauso gut tun können, was er zu tun vorgehabt hatte. Heim und Schuhe aus. Oder das Telefon. Oder und! Im Grunde hatte es ja aber vielleicht doch nur diesen einen Ausgang geben können. Wie hätte er, ja, wie hätte er denn wissen sollen, was unter anderen Umständen hätte geworden sein können? Wo er gar nicht wusste, was genau war. Er versucht sich an einer Bestandsaufnahme. Den Skizzen-Fetzen, eine fledermausfarbene Flasche und ein Dutzend denkwürdiger, doch dabei völlig unbedachter Drohungen waren alles, was er finden konnte.

Es hätte doch wohl möglich sein können einmal im Leben Ordnung schaffen zu können. Aber nein, da laufen ihm läppische Weg-Skizzen über den Weg um ihn davon abzubringen. Dabei war er so gut gewesen. Hatte Stapel sortiert und nach Stempeldatum geordnet, ohne auch nur einmal zu stöhnen. Und dann hat diese dämliche Skizze, auf der nicht einmal eine Ortschaft eingezeichnet war, dann hatte die dazwischengefunkt. Sie hatte ihm einfach den Weg vom Bahnhof zum Hotel gewiesen, ohne dass da überhaupt ein Orientierungspunkt ist! Sie hatte da gestanden, gewunken und die Dinge waren gefährlich gradlinig gezeichnet gewesen und folgten ihm wie Gummi. Es war ein Weg wie aus Wachs und die Worte, die sie gewechselt hatten, ließen den Abend im Weichen. Und es lag ihm ja nicht im Sinn, sich in Festem zu manifestieren; lieber wäre er im Flüssigen verlustig geworden, zum Beispiel aus einer fledermausfarbenen Flasche mit Totenkopf und gekreuzten Schwertern auf dem Etikett. Aber wenn sie da nun so steht, wenn er doch den anderen Weg gar nicht aufgeschrieben hatte und wenn es doch nur diesen einen Fluss in der Stadt gab, dann! Dann wusste er auch wirklich gar nicht, was da noch half. Klar, er hätte Identität und Kontinent und all das wechseln können. Aber Leute, die immer alles wechseln, mochte er schon damals nicht und fand das irgendwie verweichlicht.

Und plötzlich war ihm dieses Zitat in den Ohren geklungen sowie wie es ihm jetzt aus dem Steuerstapel klang. Dumpf, aber deutlich. Und daran konnte nicht einmal die Waschmaschine etwas ändern. Da tut man so routiniert und dann wird doch alles aus den Angeln gehoben. Der Klempner kommt gleich, macht die Waschmaschine richtig und sonst nichts. Mein Gott, nicht mal die Klumpen kann er dem Klempner erklären. Wenn es warm wird, also von kalt auf heiß, dann bilden sich da Klumpen. Dass sich das Pulver nicht löst, kann so nicht gedacht sein. Nichts, aber auch gar nichts endet in blauen Bröseln.

Auch die Nacht im Hotel nicht. Sie tranken aus der Flasche und hätte es je etwas gegeben, auf das man hätte anstoßen können, es wäre spätestens in diesem Moment aufgelöst gewesen. Selbst die Zeichnung war mittlerweile verschwommen und nichts hätte sie mehr trennen können. Aber darum geht es ja bei Flüssigem auch nicht – im Gegenteil. Die Flasche war leer, das Bett nass und der Regen floss die Rinne entlang.

Nietzsche hatte das gesagt. Er hatte das bei ihrer letzten Begegnung gesagt und dann war sie mit zu ihm gekommen. Gleichwohl längst wieder hell geworden, war es schattig, die Blätter von Raureif überzogen. Ihm war wirklich undurchsichtig, wie alles so klar sein konnte. Als er die Zeichnung ansieht, weiß er, dass er den Weg noch oft würde finden können. In jeder Stadt. Er schiebt den Steuerstapel beiseite und öffnet das Fenster. Die schmalen Gassen der Altstadt liegen in herbstlichen Nebelschwaden und der Sims ist feucht.

Über die Autorin: Juliane Eva Reichert lebt als freie Autorin in Berlin, schreibt vor allem über Whisky, Reisen und Philosophie. Über letzteres promoviert sie und freut sich über ein Hannah Arendt-Buch zu einem Glas Laphroaig in einem Zug ins Nirgendwo.

 

Datum: 16.10.2017