X
Newsletter
X
X
Login
Passwort vergessen?


Konto erstellen

Mein Wein ist günstig aber mein Stadtviertel immer teurer

Rainer Langhans - auch schon gentrifiziert. Nicht von der Immobilienwirtschaft aber von RTL. Foto: dpa
Kommentare
Ähnliche Weine
Ähnliche Artikel
Unser Weintester Patrick Hemminger sitzt mitten in München und kommt ins Grübeln. Wie lange wird sich seinesgleichen noch hier halten?
Anzeige

Vor ein paar Tagen war ich in einem dieser Stadtviertel unterwegs, bei deren Erwähnung jeder sofort ein Bild vor Augen hat. Wie Kreuzberg, Manhattan, St. Pauli oder Montmartre. Ich war in Schwabing.

In diesem Münchner Viertel lebten und dichteten Joachim Ringelnatz, malte Franz Marc, traten Elvis Presley und die Rolling Stones auf, dreht APO-Jünger und RTL-Dschungelcamper Rainer Langhans heute auf dem Fahrrad seine Runden. Über Schwabing sagen seine Bewohner, dass hier die Luft eine andere sei. Freier, offener, kreativer.

Es war ein milder Wintertag und ich genoss die Luft vor einer Bar mit einem Glas Rotwein. Auf den wollte ich mich eigentlich konzentrieren. Aber dann hörte ich, wie sich am Nebentisch ein Mann und eine Frau unterhielten, die beide offenbar schon sehr lange hier im Viertel wohnen. Er hatte gepflegte, schulterlange, graue Haare und trug eine abgewetzte Lederjacke. Auf dem Tisch vor ihm lagen eine Zeitung und ein speckiger Gedichtband. Die Haare der Frau waren kurz geschnitten und feuerrot, das Brillengestell giftgrün, die Ohrringe ebenso.

Der Mann erzählte sorgenvoll, dass das Haus, in dem er seit vielen Jahren wohne, jetzt saniert werde. Er und seine Frau müssten dann wohl ausziehen. Sein Gehalt von der Uni und ihres als Lehrerin würden nicht ausreichen, um die neue Miete zu bezahlen.

Nun legte sich auch die Stirn der Frau in tiefe Falten. Sie habe gehört, dass auch bei ihr bald die Handwerker anrücken würden. Auch sie habe Angst, dass sie dann ihr Atelier nicht mehr halten könne. „Und wo sollen Leute wie wir dann hin?“, fragte sie.

Ich griff nach der Süddeutschen Zeitung, die vor mir auf dem Tisch lag und schlug den Immobilienteil auf. Es gab eine Wohnung in Schwabing, nicht weit von der Bar, in dem ich saß. Ordentliche Lage, drei Zimmer, 80 Quadratmeter. 2.000 Euro Kaltmiete.

Bitte? Von vergoldeten Wasserhähnen war in der Anzeige nicht die Rede gewesen.

Ich schaute weiter zu den Gesuchen. Da war eine vierköpfige Familie, die wollte gerne in eine Sechs-Zimmer-Wohnung ziehen. „Wir zahlen bis zu 4.800 Euro Kaltmiete“, stand da.

Bitte? Kein Wunder, dass Unidozenten und Künstlerinnen nicht mithalten können. Ganz zu schweigen von mir…

Aber wenn nun nur noch Menschen mit hohem Einkommen nach Schwabing kommen, wie lange wird es dauern, bis jemand wie ich sich hier nicht mehr wohlfühlt – weil er einfach nicht mithalten kann?

Das also ist Gentrifizierung.

Ach ja, der leistbare und gute Wein mit dem ich meine tristen Gedanken in jener Bar hinfort spülte, war der El Paseo von der Bodegas y Vinedos Quaderna. Das liegt in der Region Navarra, direkt am Jakobsweg in Spanien. Gekeltert wurde er aus 70% Tempranillo und 30% Merlot und er hat brave 13,5 Volumenprozent Alkohol.

Dem Glas entsteigt ein verhaltener Duft von roten Früchten und gekochter roter Beete. Bekommt der Wein etwas Luft, kommen Hagebuttentee und etwas dunkle Schokolade hinzu. Ich nehme einen Schluck. Und gleich noch einen. Dieser Tropfen ist angenehm unkompliziert, genau das richtige für eine sonnenbeschienene Terrasse. Geschmacklich dominieren Waldbeeren, das Tannin ist weich, die Säure bewegt sich im mittleren Bereich.

Ich frage mich, wie lange es in Schwabing noch solche Weine gibt.

 

Datum: 8.8.2016
 

Ähnliche Weine

 

Ähnliche Artikel