Ich lebe in Salzburg. Das ist weit weg vom Schiff, das meist in Berlin vor Anker liegt. In Salzburg kriegt man nicht so viel mit, was am Schiff vor sich geht.
Salzburg, so klein, schön und langweilig es sein mag, hat eine rege gastronomische Szene. Reger als in vergleichbaren deutschen Städten. Und wo die Gastronomie tobt, da gibt es auch viel Wein zu trinken.
In und um Salzburg befinden sich ein paar der besten Weinhändler Österreichs. Und so hat man im Exil auch immer gut und genügend zu trinken. Und Freunde, die das Trinken mit mir teilen. Wie Heinz, der immer auftaucht, wenn eine Flasche geöffnet wird. Zu seiner Ehrenrettung: Ich verdanke ihm den Genuss ein paar großer Weine.
Ein guter Zeitpunkt also, um wieder eine kleine Verkostungsrunde einzuberufen. Schneller Anruf bei Heinz und schon weiß ich Bescheid, wo sich die üblichen Verdächtigen heute treffen. Kurz Zeit später stehe ich inmitten einer Schar weinbegeisterter Salzburger, alle sind bereits leicht angeschickert und die Stimmung steht kurz vor ihrem Höhepunkt. Der erste große Durst ist gestillt und der einfache Wein – so gut er ist – wird langsam langweilig.
Das ist der Zeitpunkt – wir alle kennen ihn – da werden aus lauter Euphorie und gegen die Vernunft schon mal ganz besondere Flaschen getrunken.
So auch heute. Direkt an der Theke erblicke ich Heinz. Er gibt wieder mal alles und hat einen seiner Kollegen voll in der Mangel. Der arme Kerl wird von ihm nun so lange vollgetextet, bis er vor lauter Verzweiflung eine Flasche ausgibt. Das ist eine ganz hervorragende Taktik, die man sich merken kann.
Bevor es weitergeht, ein Hinweis in eigener Sache. Folgt dem Captain auf Instagram, um keine seiner großartigen Mittrink-Aktionen zu versäumen:
Die neue Flasche wird gebracht und vor den Augen der beiden entkorkt. Kaum hat Heinz den ersten Schluck getrunken wird er unruhig. Er schnappt sich die Flasche schaut in die Runde, erblickt mich und kommt eiligen Schrittes zu mir rüber. Nicht mehr ganz nüchtern und etwas aufgeregt schenkt er mir aus einer Burgunderflasche großzügig ein, schaut mich mit großen Augen an und versucht – völlig verkrampft – das Etikett zu verstecken.
„Das musst du probieren!“
„Warum?“ (generell die falsche Frage)
„Mach halt und frag nicht so viel.“
Ich nehme das Glas und rieche hinein.
„Erinnert mich an frisch gebackenes Baguette. Genauer gesagt an die Rinde eines Baguette. Weißt du was ich meine?“
„Ich bin ja nicht blöd. Weiter?
„Man riecht nur ganz dezent etwas französisches Holz. Dann Butter, Karamell, etwas Birne, ein wenig Apfel ebenso, wie eine sehr intensive Würze und Mineralität. Eine geniale burgundische Nase eigentlich. Ist der Wein aus der Burgund? Ein guter Macon? Ein Pouilly Fuissé?“
„Nein, ist er nicht. Trink doch endlich mal und riech nicht ewig daran rum!“
„Ganz ruhig Brauner, ich trinke ja gleich. Riechen gehört nun mal dazu.“
Ich nehme einen mittelgroßen Schluck und lasse ihn über die Zunge in die Kehle rinnen. Ein sehr cremiger, straffer und dichter Wein. Ich schlucke. Die präsente, aber gezähmte Säure gibt ihm eine eindrückliche Frische, die an kalte Handtücher an einem noblen Badestrand der Côte erinnert. Und dann ist da noch diese Würzigkeit, die mich immer wieder an Burgund denken lässt. Alleine der Holzeinsatz lässt mich zweifeln, das macht man in Frankreich dezenter. Und dann diese Mineralität? Die ist auch kein unbedingtes Signal mittlerer weißer Burgunder. Nirgendwo Kalk? Naja, ein bisschen vielleicht. Doch dann die Länge am Gaumen! Die Länge beeindruckt!
„Was ist denn das für ein geiles Zeug?“ (Umgangssprache rulez)
„Chardonnay aus Österreich vom Neusiedlersee.“
„Nicht dein Ernst – von wem?“
„Da schaust du, was? Von Martin Pasler aus Jois.“
„Österreich. Dachte ich mir schon. Wegen dieser brutalen Würze und Mineralität.“
„Das ist die Leithaberg DAC Reserve.“
„Das erklärt viel, ich kenn ja die Lagen hin zum See. Was hat der an Alkohol?“
„13,5 Prozent“
„Hätte ich ohne zu zögern in die Burgund gesteckt.“
„Kennst Du einen besseren burgenländischen Chardonnay in der Preisklasse?“
„Ja, den Darscho von Velich. Aber der Pasler hier ist nahe dran. Und freilich eine Spur günstiger.“
Liebe Captain, lieber Maat,
ist es vielleicht schon zu euch durchgedrungen, dass 2010 doch alles andere als ein Arschjahr war und dass man, gerade in Österreich, diesem Jahrgang inzwischen fast nachtrauert, besonders in einem säurelosen Jahr wie 2011?
Vielleicht wollt ihr ja gerade Leuten wie mir solche Bemerkungen rauskitzeln, mit dem ewigen und ewigen Wiederholen dieser „Arschjahr“ – Floskel. Vielleicht kann sich der Captain aber auch einfach nur nicht eingestehen, dass seine übereilte und vor allem polemische Jahrgangsprognose einfach nur falsch war?
Her mit dem (bedeutenden) Winzer, der hier sagt: „Ich trauere dem Jahrgang 2010 in seiner Komplettheit nach. Vor allem im Vergleich mit den kompletten Weinen von 2011.“ Auf den Winzer warte ich mal..
Stichwort 2011: Ich persönlich habe noch keinen 2011er Weißwein (aus Österreich) gefunden der mir jetzt wirklich schmeckt. Und das von den Weingütern die ich sonst schätze. Ehrlich gesagt, wirken die Weine, bis auf wenige Ausnahmen, eher plump und ungeschliffen, zu dick – ich glaube hier nicht an die große Offenbarung in den nächsten Jahren.
Nur mein Eindruck: die 2010er Weißen aus Österreich sind in den mittleren und oberen Qualitätsstufen jetzt sehr schön und gut zu trinken – natürlich mit Ausreißern in beide Richtungen der Qualität.