Georges Philippe de Rothschild war in den 20er-Jahren Lebemann und Rennfahrer (4. Platz des Grand Prix von Monaco), Frauenverführer und schon im Alter von 22 Jahren Chef des Weinguts Château Mouton-Rothschild in Pauillac bei Bordeaux.
Der junge Philippe war aber auch ein Marketinggenie.
Schon viel früher entstand aus der Not eine ganz andere Idee. Denn die Lese des Prestigeweins Château Mouton-Rothschild im Jahr 1930 fiel total mau aus. Ebenso 1931 und 1932.
Eine Vermarktung unter dem klingenden Namen des Stammhauses schien unmöglich. Aber das ganze Zeug wegschütten? Immerhin handelte es sich um einen brauchbaren Wein. Nur eben nicht die Weltklasse-Qualität, die seine Kundschaft gewohnt war. Rothschild entschied, eine Zweitmarke zu kreieren: Mouton Cadet. Cadet heißt nämlich „Junior“.
Voilà. Das Unternehmen geriet zum Mega-Erfolg. In den Jahren darauf musste Rothschild Traubenmaterial benachbarter Winzer einkaufen, denn die eigene Ernte wurde ja zum Nobelwein des Hauses verarbeitet. In der Folge geriet der Cadet zum weltweiten Kassenschlager. Im Jahr 2002 wurden 15 Mio. Flaschen losgeschlagen. Bis heute zählt der Cadet zu den meistverkauften Weinen der Welt und dient als Beweis, dass man mit perfektem Marketing und wohldosierter PR auch ein grässliches Getränk wie dieses erfolgreich losschlagen kann.
Genug der Historienmalerei, kommen wir zum Wein. Ich habe eine Flasche Mouton Cadet vor mir stehen, den man im Handel für rund 10 Euro erwerben kann. Der Korken ist raus und mein voluminöses Bordeauxglas angemessen gefüllt. Übrigens keine gute Idee.
Ein kleineres Glas, das die Schwächen eines mittelmäßigen Rotweins kaschiert, wäre besser gewesen.
In der Cuvée schwimmen die Rebsorten Cabernet Sauvignon, Cabernet Franc und Merlot – eine klassische Bordeauxmischung. Die Trauben stammen von (zurecht) namenlosen Winzern in den Bordeaux-Appellationen Côtes de Bourg, Côtes de Blaye, Côtes de Castillon, Côtes de Francs und Premières Côtes de Bordeaux (auch bekannt als die so genannten Satelliten-Appellationen). Im Glas Karminrot mit hellem Rand. In der Nase dunkelfruchtig nach Schwarzen Johannisbeeren, Brombeeren, Artischockenblättern und kalter Asche. Weiter hinten etwas Marzipan, was ich als Hinweis auf die Verwendung von Holzchips betrachte und prinzipiell nicht verurteile. Ich nehme einen Schluck und spüre Aromen von heißem Autoreifen und angebrannter Milch. [Natürlich hatte ich noch nie einen Autoreifen im Mund, aber den Geruch kennt jeder.] Am Gaumen austrocknend wie ein Mundvoll Mehl. Die tranige Süße, die hier eingebracht wurde, kann die scharfen Bitternoten nicht kaschieren. Dieses weinähnliche Getränk ist so ziemlich der schlimmste Rote, den ich seit langer Zeit probierte.
Muss man diesen Wein trinken? Nein. Sollte man ihn kennen? Eher ja, denn er gewährt einen Blick auf die Realität der modernen Massenweinproduktion. Und er hat (im Gegensatz zu anderen Allerweltsweinchen) die interessanteste Geschichte über sich zu erzählen.