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Zum Geburtstag gönnt man sich schon mal was. Erst recht, wenn es der Einhundertste ist. Was Sterbliche selten erleben, können Institutionen wie der Verein deutscher Qualitäts- und Prädikatsweingüter, kurz VDP genannt, kräftig feiern. Das vergangene Jahr stand zur Gänze im Zeichen des Traubenadlers und wurde von einer Vielzahl begleitender Veranstaltungen bestimmt.
Diese Veranstaltungen zeigen sehr schön, welches Selbstverständnis der Verband heute besitzt. Angefangen bei „Kunst & Wein“ in Zusammenarbeit mit Berliner Galerien über die Kunstaktion „Weinbergleuchten“, der Illumination deutscher Spitzenlagen, bis zu den traditionellen Weinversteigerungen im Herbst, bewältigte der VDP den komplizierten Spagat zwischen Tradition und Moderne, zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Immerhin muss es der Verband allen Winzern recht machen. Zwei besondere Bücher, die im Jubiläumsjahr auf Initiative des VDP erschienen, stehen stellvertretend für das Interesse an der Vergangenheit und dem Blick nach vorn. Jetzt, im Folgejahr und nach all den Festivitäten, kann man einen nüchternen Blick über die Seiten schweifen lassen.
Mit dem prächtigen Fotoband „Deutschlands Weinelite“ (gefühlte zwei Tonnen schwer und von Tre Torri verlegt) hat sich der VDP eine gewichtige Visitenkarte zugelegt. Ausstattung, Umfang und graphische Gestaltung greifen auf, was der Titel verheißt: Wir sind wichtigste Winzer. Eine neue Souveränität ohne Bescheidenheit vorgetragen. Umrahmt werden die rund 250 Porträts der Weingutsbesitzer oder Verwalter von umfangreichen und farbkräftigen Fotografien der Anbaugebiete und einem kulinarischen Exkurs in die Küchen deutscher Sterneköche.
Prächtig ad absurdum
Diese präsentieren eine jeweils einem bestimmten Weintyp (z.B. Riesling trocken) angepasste Speise. Eine eher unglückliche Simplifizierung. Als gäbe es den „Riesling trocken“ oder den „Spätburgunder trocken“. Eine „exklusive“ Idee, die das ganze Konzept leider ad absurdem führt.
Die Porträtaufnahmen der Winzer wurden von Johannes Grau aus Hamburg angefertigt und sind stilistisch einheitlich in schwarzweiß gehalten. Ein schöner, geschlossener Überblick aller Mitglieder, darunter viele Charakterköpfe. Oft führt jedoch eine zu dunkle Garderobe zu dem Effekt, dass einige Winzer von dem dunklen Hintergrund fast verschluckt werden.
Das strenge ästhetische Konzept wird durch das Hinzufügen des Gutsetiketts etwas gebrochen. Teilweise sind die Etiketten jedoch so ungeschickt angeordnet, dass sie in dem Falz liegen und schlecht zu lesen sind. Auch die Variation einer Überlagerung der Porträtfotos durch die Etiketten erzielt kein schönes Ergebnis. Gelungen sind hingegen die Übersetzungen der Texte, die allesamt in klar verständlichem und gut zu lesendem Englisch abgefasst sind.
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Falls Sie ein weinaffiner Mediziner mit eigener Praxis sind, lohnt sich die Anschaffung für ihr Wartezimmer. Für alle anderen Weininteressierten bleibt abzuwägen, ob sie für den Ladenpreis von 100 Euro nicht doch lieber ein, zwei richtig gute Flaschen erstehen.
Daniel Deckers Buch ist da schon von ganz anderem Format. Vor allem handlicher. Aber auch ein echter Tipp. Deckers skizziert die Geschichte des deutschen Weins als eine Geschichte des VDP. Jedenfalls was die letzten 100 Jahre betrifft. Und das ist keine Aufschneiderei, schließlich lassen sich an der Verbandshistorie sehr gut die Entwicklungen der übrigen Weinwelt ablesen. Anschaulich erläutert Decker vor allem die internationalen Probleme, die ein derart großer Interessenverband zu bewältigen hat.
Begleitet und aufgearbeitet
Deutlich wird bei Decker auch, welche Anstrengungen den Verband die Orientierung am Gedanken der naturreinen – also der ohne Zusätze erzeugten – Weine gekostet hat. Und das Kapitel über die Weinwirtschaft im Nationalsozialismus ist vorher niemals so ausführlich aufgearbeitet worden. In chronologischer Folge führt Deckers kurzweilig durch die deutsche Weingeschichte und leistet das, was der Maat als Historiker mit einem wohlwollenden Anerkennen „intensive Quellenarbeit“ nennt.
Die Archivarbeit, die der Autor hier geleistet hat, ist gar nicht hoch genug zu bewerten. Deckers Stil ist sicher, flüssig und kurzweilig. Und die Kapitel sind nachvollziehbar in überschaubare Abschnitte gegliedert. Die vielfältigen Foto- und Schriftquellen illustrieren das Buch mehr als reichlich. „Im Zeichen des Traubenadlers“ schafft den Spagat zwischen Wissenschaft und Unterhaltung, auch wenn etwas mehr Wissenschaft, etwa durch die Verwendung von Fußnoten oder ein Register, durchaus wünschenswert gewesen wäre. Die völlige Abwesenheit eines Literaturverzeichnisses ist das einzige große Ärgernis. Wer soll sich dieses Buch kaufen? Jeder, wirklich jeder, der sich auch nur einen Funken für den deutschen Wein interessiert.
„Naturreiner Wein“ im Sinne des VDP heißt mitnichten „Wein ohne Zusätze“, sondern „Wein ohne Zuckerzusatz“. Anderer Zusatz (Schwefel) war immer schon erlaubt und selbstverständlich üblich.
Sehe das mit der Buchempfehlung genauso. Ich habe beide intensiv durchgeblättert 😉 und den Deckers nur deshalb nicht mitgenommen, weil ich gerade aus dem Koffer lebe (und der schon voller Bücher ist). Aber da ich mich nicht prinzipiell vor Buchstaben fürchte, wird das Buch definitiv noch gekauft. Wurde übrigens auch langsam mal Zeit, dass es eine kluge Abhandlung zum Thema gibt. Nicht nur Punktelitaneien oder Reisebeschreibungen.
Was ich bei dem Buch von Herrn Deckers auch sehr erhellend fand, waren die Ausführungen zur Binnenstruktur des VDP. Dass man es hier eben mit einem z.t. recht inhomogenen Verband aus einzelnen Regionalverbänden zu tun hat und die „Bindung“ zwischen den einzelnen Regionen zu bestimmten Zeiten fast unmöglich war.
Ich hatte das große Vergnügen, im Rahmen der „Tour der großen Gewächse“ des VDP einer mit dem Begriff „Lesung“ nur äußerst unzulänglich gekennzeichneten Tour de force quer durch das Buch von Herrn Deckers in Köln beizuwohnen.
Wer mal die Gelegenheit dazu haben sollte: es lohnt. Sogar sehr.