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Hochprozentiges: Trinken hilft schreiben

Kalt. Und einsam...
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Hemingway und Faulkner meinten, Einsamkeit und Alkohol habe sie zu guten Schriftstellern gemacht. Der Captain folgte dieser Empfehlung und ging zu Fuß durch Schottlands schöne Einöde. Einzige Begleitung: Viele Flaschen Whisky
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Lagerhulin. Glenmoräntsch, Dahlwinnie, Mäckällen.
Tschonny Walker.
Ich.
Geht mich nichts an, dachte ich, bevor ich aufbrach. Geht mich nichts an, wie man das Zeug richtig schreibt. Ich muss es alleine richtig bestellen können.
Lafroig.
Daliska.
Ich.

Highlands, Violet Hills. Auch im IPhone. Coldplay. Cold, denn Sommer ist nicht, als ich in Glasgow ankomme, trunken vor Vorfreude von nun an fünf Tage trunken zu sein. Das ist die Idee: Einsamkeit und Alkohol machen mich zu einem besseren Schreiber. Und gehen.
So mancher Schriftsteller ging. Von Paris nach Köln. Von Innsbruck nach Siracusa (ein Goethewandler), von Erfurt nach Verona (ein Lutheraner), durch Serbien (ein Verirrter). Ich gehe von einem Parkplatz der A9 weg in Richtung Küste.
Sechzig Kilometer.
Fünf Tage.
Kein Gepäck.

Eine Jean. Ein Zahnbürste elektrisch

Nicht ganz, eine kleine Umhängetasche von Prada, Geschenk von der Ex. Alles Ex kann man durch den Dreck ziehen, also nehme ich die Tasche mit ins Moor. Der falsche Moorsoldat verzichtet auf Wanderschuhe und beschmutzt seine Crockett & Jones, die er sich gerade in London gekauft hat. In der Jermyn Street, Zuschlag inbegriffen.
Die Prada-Tasche, ein Flakon Vetiver, zwei Polos, eine Jean, eine elektrische Zahnbürste, eine Hasselblad, zehn Filme, eine kleines Stativ.
Und eine Flasche Whisky.
Der erste ist ein Talisker, mein Liebling, weil er ein Gramm mehr Zucker zu haben scheint, als die anderen Vertreter dieser exzellenten Mittelschicht.
Single Malt, was sonst.

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Der Parkplatz kommt nach der Ausfahrt Edendon Bridge, am Forest of Atholl. Ich gehe westlich ab, die Straße überquerend ins Nichts. Überall trennen Zäune das Nichts ab, doch in Schottland herrscht der freie Wille zum freien Weg, ich darf queren, auch die Eisenbahnschienen der Caledonian-Linie nach Inverness. Vor mir ein Weg hinan, auf etwa tausend Fuß, durch die Berge, Richtung Loch Rannoch. Ein Ire begegnet mir, der letzte Mensch, den ich für Stunden sehe. Er spricht mich an, vermutet einen Irren in mir, in dieser Kleidung, da durch (?). Ich zweifle. Und gehe weiter. Der Weg ist schmal. Und gut.

Doch hätte das Wetter umgeschlagen, ich wäre verloren gewesen. Das kommt mir, in der Mitte der ersten Etappe. Als nichts mehr ist, außer waldlose hohe Hügel, Flechten, Schafe, Torf. Helles, klares Licht. Schöne, scharf konturierte Wolken.
Tja, das Nichts, die Einsamkeit. Man hat so einiges zu denken. Ich denke an die nicht bezahlten Rechnungen, die ich bald mal zahlen muss. An ein Filmprojekt, das gerade den Bach runtergeht. Und an die Frauen, die ich dieses Jahr schon enttäuscht und verprellt habe. Also an nichts Erfreuliches. Das wollte ich auch: An nichts Erfreuliches denken. Denn ich wollte erst mal sauber machen, in der Abstellkammer meines Ichs. Ausmisten, bevor ich neu einrichte.
Ich wollte auch Entscheidung. Was zum Aufschreiben.

Trinken. Um sich zu verbessern

Und ich wollte sehen, ob der Alkohol auf das Schreiben wirkt. Zum Schreiben habe ich Papier und Kugelschreiber mitgebracht, das Mac-Book hätte ein paar Kilo mehr ausgemacht und für das Mac-Book-Air, das federleichte, war ich zu geizig. Also Papier, Moleskine, Chatwin, Klischee. Der Talisker ist auf der Höhe von Beinn Mollach zur Hälfte ausgetrunken, schnell kippe ich zu Corned Beef und Weißbrot den Rest. Ich setzte mich auf einen Stein und schreibe der Frau, die ich dieses Frühjahr geliebt habe wie selten eine andere zuvor einen Abschiedsbrief. Es fängt an zu regnen, Tropfen wellen die Seiten des Moleskine-Buches wie Tränen. Was für ein Kitsch denke ich. Und kippe in den Kitsch. Keine Menschenseele weit und breit, nur Gras, Flechten und ich. Das geht an die Seele. Und ich habe ordentlich einen sitzen, mehr, als ich dachte, denke ich.

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Ich schreibe ihr, dass mich ihr Prinzip des Nicht-In-Der-Welt-Stehens langweilt. Dass das Originelle, das Originäre ihres Wesens Risse bekommt, wenn es letztlich nur so etwas Banales wie Unverletzbarkeit herstellen soll. Und dass das Unsinn ist, wenn eine so viel kann, so viel erkennt, so viel besser machen kann, wie sie. Und dass ihre vorgeschobene Depression Humbug ist. Sie hat Angst, sonst nichts.
Aber dann befallen mich Zweifel, ich kann ihre True-Colors sehen, ich sehe auf jeden Fall die true colours des Sonnenniedergangs. Zwei Stunden schreiben, vierzehn Seiten. Ich werde das Erbrochene beim Abendessen noch mal lesen. Ich reiße die zweite Flasche auf, einen Oban, alles aus der Hand, die einem füttert.

Abgang Richtung Loch Rannoch. Rund zwanzig Kilometer. Nicht mehr zu schaffen. Ich stoppe Auto, ein Paar in einem älteren Volvo nimmt mich mit. Und schweigt, sieht mich vorwurfsvoll an. Ich grüble, dann weiß ich es: Ich habe eine Fahne, ich stinke das Auto voll. Ich hole Chatwin raus und schreibe. Die Frau des Fahrers betrachtet meine Schuhe und die Armbanduhr, das schreibe ich jetzt auf. Ich schreibe auch auf, dass sie jetzt denkt, dass ich ein Psychopath bin. Ich sage ihr, ich komme aus dem Lande Sigmund Freuds. Auch das schreibe ich auf. Schreiben und trinken, deswegen bin ich hier.

Ein Perlhuhn. Ich weine

Loch Rannoch geht vorbei, wunderschön freilich, dann kommt Lannoch Station, das Ende der Straße. Hier esse ich im einzigen Hotel, das auch ein Drittel des Dorfes ist. Zu den drei Häusern gesellt sich noch die Bahnstation. Wahrend ich ein Perlhuhn entbeine, fährt ein Güterzug durch die Dämmerung. Ich weine, keine Ahnung warum. Ich schlafe.

Nächster Tag, kein Kopfweh. Das habe ich gewusst, vom Whisky kriegt man kein Kopfweh. Ich kriege kein Kopfweh.
Über den Cruach nach Blach Corries und Kingshouse. Dort gibt es wieder eine Strasse. Und in Altnafedath ein Bed & Breakfast. Das steht in diesem alten Reiseführer, der, blätter, blätter, ach ja, da steht es ja, aus dem Jahre 1975 ist. Ich gehe über kleine Hügel, unangestrengt. Die Sonne befreit sich von den Wolken und es wird das erste Mal richtig heiß. Ich schwitze, ich stinke. Ich kann es richtig riechen, ich ekle mich vor meiner eigenen Ausdünstung. Ein paar Schlücke helfen. Und Traubenzucker. Ich deliriere leicht, die zweite Flasche ist leer, die dritte wird aufgemacht.

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Ich denke an die Frau. An die Frauen, denn heute ist mir auch wieder die Frau eingefallen, in die ich mich letzte Woche verliebt habe, jene, die die andere ablösen wird. Die ist eine anderer Type, ein Leichter-Leben-Mädchen, lange Haare, große Augen. Ich denke, dass ich von nun an die kommenden drei Tage wohl nur mehr an Frauen denken werde. Keine bedeutende weltpolitische Gedanken auf dem Feldweg nach Kingshouse. Ich könnte mich mitteilen. Könnte, wenn das Handy Empfang hätte. Hat es da aber nicht, nie. Ich empfange auch keinen Ukw-Sender. Es ist wirklich totenstill hier. Bis ein Krächzen die Stille durchbricht, Sprechfunk, den ein Forest-Ranger benutzt. Weit und breit kein Forest, aber ein Forest-Ranger. Seltsames Land. Mir ist leicht schlecht, ich beschließe für heute mit dem Trinken aufzuhören. Der Halter des Sprechfunkgerätes (Motorola) glotzt auf meine Schuhe und schüttelt den Kopf. Sagen tut er kein Wort. Glück gehabt.

Bohnen vom Buffet

Das Bed & Breakfast gibt es natürlich nicht mehr und ich fahre mit dem Bus nach Kinlochleven, wo ich schlafen darf.
Am nächsten Morgen gehe ich entlang einer Bundesstraße und esse Kapern, Bärlauchkapern aus Österreich von der Familie Raidl. Habe ich mitgebracht. Wie so ein spießiger deutscher Tourist. Aber die Kapern schmecken besser, als die Bohnen vom Buffet. Und das Fleisch hier oben stinkt eigenartig. Also esse ich Kapern.
Und trinke.

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Die schottischen Bundesstrassen sind sehr schmal und haben Ausweichbuchten für den Gegenverkehr. So hat die Straße immer wieder Dellen. Um diese Dellen gebührend zu ehren, nehme ich an jeder einen Schluck. Ich beschließe wieder an die Frauen zu denken, wenn ich später dann leicht angetrunken bin. Doch es gelingt mir nicht. Nichts gelingt mir an diesem Tag. Nicht das Gehen, nicht das Schreiben. Nicht das An-die-Frauen-Denken. Ich sitze in North Ballaculish am der Küste von Loch Linnhe und schaue raus. Aufs Wasser. Ich bin matt, Richtig müde. Heute kommt sie raus, schreibe ich auf, die Erschöpfung. Ich lege mich auf Gras schlafen. Landbesetzer aus einem Schweizer Reisebus wecken mich auf. Da ist der Tag schon um. Ich will eigentlich hier bleiben. Also bliebe ich hier. Und lese, was ich in mein Moleskine entleert habe.

Es ist Unsinn, Schrott, schlecht formuliert, krass zugeschissen mit wichtigtuerischen Worten, ein erbarmungswürdiges Destillat schwülstiger Plattitüden. Na ja, so schlecht nun auch wieder nicht.

Kilometer machen. Und trinken

Tag vier. Ich bin gestern nicht viel weitergekommen. Heute muss ich durch den Creran Forest nach Taynuilt. Knapp oberhalb von Oban, dem Endpunkt der Reise. Kilometer machen, früh raus, durch einen Wald. Endlich Abwechslung. Ein Wald.

Im Wald Rebhühner. Zuerst eines, dann hunderte. Sie glotzen mich an, sie weichen nicht aus. Ich habe zwar schon anständig getrunken, eine Flasche Ardbeg angefangen, der zu den torfigen Whiskys gehört, aber das geht dann zu weit. Ist das das Delirium?

Die Rebhühner, inzwischen sind es tausende, gehören zu einer Farm, die sich hier angesiedelt hat. Im Nichts. Im Nichts züchten sie auch Lachse. Überall Anlagen die Geräusche machen. Doch weit und breit kein Mensch. Ich grusle mich. Ich kriege Angst; ich fürchte, irgendjemand könnte aus dem dichten Wald kommen und mich abmurksen. Die Wasserbehälter mit dem Lachsen piepen Kontrolltöne, funkgesteuerte Greifer werfen Futter aus. Die Hühner sehen mich an, weil sie zahm sind. Ich denke nach, ob die Hühner die Lachsfarm betreiben. Ein großes Huhn bleibt vor mir stehen und krächzt. Unheimlich.

Ich setze mich hin und schreibe in dieser etwas bedrohlichen Stimmung eine Kurzgeschichte über die Bedrohung. Die Hühner rücken näher, dann weichen sie wieder. Es regnet. Es kommt Nebel. Ich schreibe unter Hühnern und Lachsen von einer Welt nach dem Aussterben der Menschen. Hier sind sie ausgestorben, denn auch nach vier Stunden ist keine helfende Hand zu sehen. Die Maschinen piepsen Kontrolltöne.
Es ist dunkel als ich in Taynuilt eintreffe. Obwohl ich eineinhalb Flaschen Whisky getrunken habe, bin ich nicht betrunken. Ich kenne das Fazit schon, als ich mich in ein Pub setze. Sie spielen gute Musik, the Smiths, alte Housemartins. Ich esse hervorragende Fish & Chips und trinke mein erstes Guinness. Ich kenne das Fazit schon, bevor ich morgen Mittag resümiere.
Wollen sie es wissen?
Ich nicht.

 

Datum: 10.8.2010 (Update 22.8.2014)
 

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