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Große Gewächse 2011: nahe bei Nahe

Sieht fad aus, ist aber weltbewegend: Die alljährliche Große Gewächse-Verkostung des VDP in Wiesbaden (Fotos: Vahlefeld)
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Über 350 Weine, 4.000 Gläser, 200 Verkoster. Die Vorpremiere der Großen Gewächse ist eine Massenveranstaltung. Und eine logistische Meisterleistung. Aber können die Weine aus 2011 da mithalten? Captain's Einsager Markus Vahlefeld berichtet.
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Es ist bereits ein gesetzter Termin im Jahresplan der internationalen Weinverkoster. Die Tage nach dem letzten August-Wochenende gehören den Großen Gewächsen aus Deutschland.

Der VDP wirbelt und plant und organisiert und lädt ein und alle kommen. Die Großkopferten der Weinkritik, internationale Weinjournalisten, Schriftsteller, die nationalen Händler, die internationalen Händler und erfreulicherweise auch immer mehr digitale Blog-Nomaden. Es ist die wohl professionellste und einflussreichste Wein-Show Deutschlands.

Natürlich ist die Zeit zu kurz, um allen Weinen gerecht zu werden. Mehr als 16 Stunden bleiben den Verkostern für 350 Weine. Und selbst wenn jene die Hälfte der Zeit wirklich verkosten könnte (was nicht der Fall ist, weil man auch noch schreibt und spricht, Pausen einlegt, und nach Begrifflichkeiten sucht), bleiben da gerade mal anderthalb Minuten für jeden Wein. Zeitlassen, Zeitgeben und Genießen sind etwas anderes.

Ja, die Leuchttürme kann man sehen…

Zudem befinden sich die Weine derart kurz nach der Füllung in einem Zustand, der sie schwer probieren lässt. Und auch die etwas zu niedrigen Temperaturen, mit denen die Weine ausgeschenkt werden, sind nicht gerade hilfreich, um Stärken und Schwächen auszumachen. Kurzum: in der Masse der Weine lassen sich die Leuchttürme entdecken, auch Pendelschläge nach unten oder oben. Und von den letzteren wollen wir sprechen.

Natürlich geht es um Riesling. Zwar sind auch Silvaner aus Franken, Lemberger aus Württemberg oder Burgunder aus Baden am Start. Am Ende aber geht es um die führende deutsche Rebsorte, die mit mehr als 250 Weinen auch den Großteil des Weinangebots stellt. Riesling aus Deutschland rockt. Gerade und vor allem aus 2011.

Was ist nicht alles über diesen Jahrgang geschrieben worden? Überragend soll er sein, gar kometenhaft. Eine Phalanx soll er bilden mit 1811 und 1911. Andere wiederum unkten, dass die Säure zu mild und viele Weine zu schlaff seien. Sie würden schnell gut trinkbar sein, aber kein Lager- und Entwicklungspotential besitzen.

Es geht um den überdurchschnittlichen Wein

Das Problem bei all diesen Betrachtungen und Vorhersagen ist, dass sie von der Masse, dem Durchschnitt ausgehen. Und da haben, so merkwürdig und widersprüchlich das klingt, beide Seiten recht.

Nun sind aber große Weine der Definition nach nie Durchschnitt. Sie müssen herausragen. Daher ist die Frage nach der Güte des Jahrgangs bei einer Großen Gewächs-Verkostung müßig. Es geht um den einzelnen Wein und ob er überdurchschnittlich ist. Und von dieser Art Weinen gab es überdurchschnittlich viele.

Nahe an Nahe

Da ist zum einen das Anbaugebiet Nahe. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass die Nahewinzer die Nutznießer der Klimaerwärmung sind. Bereits seit Jahren zeigt die Nahe den anderen Regionen, wo der Hammer hängt. Die Weine besitzen Reife und Schmelz und sind trotzdem hochelegant und verspielt. Und abgesehen von einzelnen Ausreißern wie dem Prinz Salmschen Felseneck, ist bei der Nahe jeder einzelne Wein GG-satisfaktionsfähig.

Ob Diel, Crusius, Dönnhoff, Schäfer-Fröhlich oder Emrich-Schönleber. Dass die großen Namen große Weine abliefern, darf als selbstverständlich angesehen werden. Aber auch die zweite Reihe wie Krüger-Rumpf oder Gut Hermannsberg haben starke Weine auf die Flasche gebracht, wobei vor allem die Entwicklung von Gut Hermannsberg steil nach oben zeigt. Mit seiner Kupfergrube hat Hermansberg einen der spannendsten Rieslinge hervorgezaubert, der nur noch vom Frühlingsplätzchen und Halenberg von Emrich-Schönleber getoppt wird.

War ich auf der Mainzer Weinbörse von den Weinen von Tim Schäfer-Fröhlich noch restlos begeistert, so ließen mich die drei GGs etwas ratlos zurück. Die stark schweflige Nase kippte bei den Weinen in etwas fast käsig vergorenes ab, das bei aller konstatierten Größe und Macht zu Punktabzug führte.

Völlig anders dagegen die Weine von Dönnhoff. Er ist bekanntlich der Meister der Noblesse und Geschliffenheit und wird diesem Ruf auch mit dem Jahrgang 2011 gerecht. Seine Weine berühren mich nicht. Aber ich erkenne, dass sie perfekt gemachte Rieslinge sind, die nicht nur ein Riesling-Idealbild geschaffen haben, sondern vor allem ihm auch entsprechen.

Wirklich berührend sind die Weine von Emrich-Schönleber. Das Frühlingsplätzchen ist herrlich würzig und im Mund klar wie ein Gebirgsbach, während der Halenberg noch einen Tacken mehr Kraft und Macht draufsetzt. Die Weine sind völlig anders als die Dönnhoffschen, aber nicht minder idealtypisch. Das Zauberwort bei beiden heißt Reintönigkeit.

Sehen Sie: Sie sehen nichts…

Große deutsche Rieslinge besitzen etwas, dass auch die österreichischen Kollegen nicht nachahmen können. Es sind Rieslinge, die klar wie ein Bergsee sind, auf dessen Grund man problemlos schauen kann. Und wie bei einem klaren Bergsee ist der erste Eindruck der des Nichts. Zwischen Himmel und Erde schiebt sich etwas, das völlig durchsichtig und trotzdem völlig anwesend ist. Diese anwesende Abwesenheit ist ein starker sinnlicher Eindruck und wirkt umso stärker, je deutlicher der Bodengrund sichtbar ist. Denn erst durch das durchsichtige Wasser erhält der Boden seine Klarheit und Brillanz.

So ging es mir bei den Weinen von Emrich-Schönleber. Sie sind durchsichtig und Riesling-abwesend, offenbaren dadurch aber einen faszinierenden Blick auf den Boden, die Steine, die Erde. Während Dönnhoff die Frucht des Rieslings herausarbeitet, bietet Emrich-Schönleber den Geschmack der Steine. Das ist faszinierend, berührend, stark.

Dunkel und Tief wie der Venusberg

Dieser Eindruck stellt sich natürlich nur ein, wenn weder dominante Säure noch auch nur der Hauch von Botrytis oder Überreife in den Weinen zu finden sind. Reintönigkeit muss also kein Ausdruck der Frucht sein, sie kann auch Ausdruck des Bodens sein. Und erst dann berührt sie mich, weil ich in eine unbekannte sinnliche Welt eintauche, der es im Gegensatz zur Frucht an Gefälligkeit mangelt. In dieser Welt herrschen Dunkelheit und Tiefe, tabakige und würzige Noten. Weine wie der Tannhäusersche Venusberg, die ewig versuchen und unbekannt und fordernd sind.

Nach den Naheweinen sah der Probenvorschlag des VDP die Weine des Rheingau vor. Ich habe sie vorerst übersprungen und mich Rheinhessen und der Pfalz gewidmet. Davon später mehr. Also dranbleiben.

 

Datum: 28.8.2012 (Update 7.1.2015)
 

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