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Euro muss sterben! Europa muss leben!

Europa im Frieden, Europa im Krieg. Your Choice (Fotos: Georg Contex, AP)
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Die Politkolumne am Wochenende - alte Tradition am Schiff. Wir stehen vor der größten Umstellungen unseres Lebens. Die Gemeinschaftswährung ist vom Segen zum Fluch verkommen. Wenn man Europa retten will, dann muss der Euro sterben.
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Wochenende. In vielen europäischen Großstädten das gleiche Bild. Eine ausgelassene Menge feiert die freie Zeit, sitzt in Restaurants, Bars und Clubs, trinkt, raucht, nimmt Drogen, macht sich glücklich und unglücklich zugleich. Ist am Leben. Nie, so scheint es, war Europa gelassener. Gelassen im gemeinsamen Untergang.

Gefeiert wird auch in Athen. Wer das nicht glaubt, soll die griechische Hauptstadt an einem Wochenende besuchen. Es gibt noch genug Leute mit Geld. Solche, die es immer noch hinterziehen. Und solche, die es nie gehabt haben. Gleiches in Madrid und Lissabon, in Barcelona und Porto. Und von Berlin ganz zu schweigen. Wir haben Frieden. Auch wenn das Soziale zerbricht. Immer noch Frieden. Doch nicht mehr garantiert. Schuld am Zerbrechen des Sozialen trägt der Euro, das oktroyierte Währungsdiktat.

Griechenland hat sich Jahre seiner Existenz durchgemogelt. Das ist Teil der griechischen Mentalität. Ich weiß, das klingt grenzwertig. Und eventuell auch rassistisch. Aber es ist Teil einer Wahrheit, die keiner gerne ausspricht: die Wahrheit der verschiedenen Mentalitäten. Teil dieser Wahrheit ist aber auch, dass sich die Griechen nicht ändern wollen. Oder nur wenig. Und wahr ist auch, dass sie sich nicht ändern sollen. Ich will keine preußischen Griechen. Ich will gastfreundliche und lebenskünstlerische Durchwurschtel-Griechen. Europa braucht keine Deutschen in jedem Land. Europa ist Vielfalt.

Vielfalt. Und keine Preußen überall

Oder Spanien. Was wird Spanien gerade geprügelt? Irre. Doch das ist eine Beleidigung sondergleichen. Kein anderes Volk hat sich derart am Riemen gerissen; die Spanier haben ihr Land innerhalb von 30 Jahren extrem modernisiert und lebenswert gemacht. Dabei kam es durch billiges Geld zu einer unhaltbaren Immobilien-Blase. Das diskreditiert den Fleiß der Spanier (und Portugiesen) aber nicht. Wir sollen sie wissen lassen, wie aufmerksam wir beobachtet haben, wie sie ihre Kulinarik zur weltbesten machten. Und ihre Weine auch. Ich brauche keine Wirtschaftsprofessoren, die mir Spanien in den Dreck reden. Ich respektiere, was die Spanier geleistet haben, denn ich sehe es vor Ort.

Schuld, dass diese Krise von den Staaten nicht individuell gemeistert werden kann, trägt der Euro – was für ein gigantisches, gigantisch gutes und gigantisch gescheitertes Projekt. Man musste ihn lieben, er war Beweis, dass Europa es geschafft hat. Doch jetzt zieht er den Süden in den Abgrund.

Ja: Der Süden muss seine Hausaufgaben machen. Und nein: Er soll sich als Süden nicht abschaffen. Wir brauchen, wollen, begehren und lieben den Süden jeden Tag. Der Süden ist das Leben schlechthin. So soll er uns Europa sein.

Ein Hobel, den keiner braucht

Der Euro muss weg, weil er ein Hobel ist, der alles gleichmacht. So soll Europa nicht sein. Die Länder des Südens haben ihre Währungen immer abgewertet, wenn es schief lief. Italien zuletzt 1995 bis 1997. Und es hat funktioniert. Wer heute auf der Autobahn von Udine nach Milano fährt, wird von Porsches, Audis und Mercedes überholt. Und nicht von Fiats und Lancias. Das ist nur ein Resultat des italienischen Wirtschaftswunders nach der Abwertung und vor dem (und mit dem) Euro. Das alles wurde mit Schulden bezahlt, das alles erhielt deutsche Arbeitsplätze. Wir (und da zähle ich meine Landsleute, die Österreicher, dazu) haben keine Vorschriften zu machen. Im Gegenteil: Wir müssen dankbar sein.

Doch ja, man darf die Griechen rügen. Man darf aber auch sagen, dass man kein Europa will, in dem Schulkinder hungern. Ja: hungern. In Griechenland gehen Lehrer in Bäckereien betteln, damit hungrige Kinder zu essen bekommen. Traurige Wahrheit. Ja, es stimmt, das ist eine Folge korrupter Politik. Aber es ist auch eine Folge des Spardiktats. Und mag sein, dass es viele gute Gründe gibt, die Sparpakete und Finanzierungsverträge abzulehnen; der beste aller Gründe aber ist, dass griechische Kinder hungern. Das geht nicht! Das ist nicht Europa, das ist keine Union.

kein Essen, keine Arbeit

Und wenn griechische Kinder hungern, wenn spanische Jugendliche, zudem Akademiker, keine Arbeit bekommen, dann hat das System, dann hat Europa versagt. Dann soll dieses Währungsdiktat zerbrechen. Jetzt. Und schnell.

Danach bauen wir uns das alte Europa wieder auf, das solidarische und vielfältige Europa. Wir haben geschafft, uns nicht mehr in jahrhundertelangen Blutorgien die Köpfe einzuschlagen. Wir haben geschafft, uns mit Respekt und auch einer Art Liebe zu begegnen. Europa ist eine unfassbar gelungene Erfolgsgeschichte. Und das kann, das darf eine Währung, das darf etwas Banales und Dummes wie Geld nicht zugrunde richten.

Deswegen sollten Leute wie Sinn und Konsorten einfach die Fresse halten. Und Leute wie Helmut Schmidt das Ruder übernehmen: alte, gebildete, unehrgeizige, empathische Europäer. Es geht nicht um unseren Wohlstand und unsere Ersparnisse. Das ist das Geringste. Es geht um Krieg oder Frieden. Und so manche deutsche Zeitungsschlagzeile liest sich wie eine Kriegsvorbereitung. Nicht mit mir. Nicht mit uns. Der Euro muss fallen, Europa muss leben. Frei nach Willy Brandt. Damals an der Mauer. Ich gehe jetzt trinken. Wie tausende andere auch.

 

Datum: 14.7.2012 (Update 7.1.2015)
 

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