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Stilguru: „Es ist keine Schande, Wein-Analphabet zu sein!“

Name: Bernhard Roetzel, Beruf: Geschmacksverstärker. Fotos: Erill Fritz
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Der Captain sprach mit Stilguru Bernhard Roetzel über Unsicherheit in Geschmacksfragen und wie man damit umgeht.
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Herr Roetzel, Ihr Verlag meldet rund 1. Mio verkaufte Exemplare des Bestsellers „Der Gentleman“ in 20 Sprachen, den Sie erstmals 1999 veröffentlicht haben. Jetzt ist eine überabeitete Neuauflage erschienen. Offenbar ist das Bedürfnis groß, sich in Fragen des Stils beraten zu lassen. Reden wir darüber! Der klassische Gentleman steht ja für Souveränität und Selbstkontrolle. Aber das ist nicht immer so leicht. Wir sind Menschen voller Ängste und Fehlbarkeiten. Wie gehen Sie persönlich mit Unsicherheiten um?

Ganz unterschiedlich. Wenn ich wirklich unsicher oder verunsichert bin, wenn ich mich also richtig unwohl fühle, dann kann ich nur schwer Souveränität heucheln. Dann entweiche ich der Situation oder begebe ich mich gar nicht erst in sie hinein – sofern ich vorher ahne, dass ich mich wirklich verunsichert fühlen könnte. Mit kleinen Unsicherheiten, die nicht an die Substanz meiner Person gehen, kann ich gut umgehen. Da versuche ich durch Offenheit zu entwaffnen oder gehe mit einer gewisser Frechheit zum Gegenangriff über. Nach dem Motto: Wovon ich keine Ahnung habe, kann nicht wichtig sein.

Ja, in „Schloss Gripsholm“ von Tucholsky steht: Ist dir noch nicht aufgefallen, wieviel Frechheit durch Unsicherheit zu erklären ist? Was machen Sie wenn Sie vor einer langen Weinkarte sitzen und nicht wissen, welche Flasche Sie bestellen sollen – werden Sie dann auch frech?

Ich frage einfach den Weinkellner. Es ist für mich keine Schande, Wein-Analphabet zu sein. Ignoranz passt meines Erachtens zur Herrenattitüde des Gentleman. Der Gentleman gibt ja auch offen seine Unkenntnis von Literatur und Kunst zu, sofern er sich nicht sogar mit ihr brüstet.

Mancher zieht eine andere Kleidung an, als er gerne würde. Weil er fürchtet, als geschmacklos zu gelten. Was raten sie ihm – außer natürlich Sie als Stilberater zu engagieren?

Generell sollte sich jeder in seiner Kleidung wohl fühlen. Aber die Kleidung sollte auch zur Situation passen. Es sei denn, ich bin gern Außenseiter. Dann gilt: Nieder mit der Angst sich lächerlich zu machen. So formulierten es die Futuristen.

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Gibt es einen Trick, herauszufinden, welche Art von Kleidung zu mir passt oder kann ich am Verhalten anderer Menschen erkennen, ob ich gerade gut angezogen bin?

Die meisten Menschen interessieren sich wenig für Kleidung und noch weniger für ihre Mitmenschen. Insofern werden Sie kaum jemals eine verwertbare Reaktion bekommen. Deshalb ist es besser, die Kleidung nach eigenen Maßstäben auszuwählen. Sie sollte so ausfallen, dass sie etwas ausdrückt. Vorzugsweise das, was wir darstellen wollen.

Sie haben auch einen Schuh-Guide geschrieben. Stimmt es eigentlich, dass viele Frauen die Qualitäten eines Mannes an seinen Schuhen ablesen? Was mögen die da unten wohl sehen?

Nach allem, was ich von Frauen höre, achten sie tatsächlich auf die Schuhe der Männer. Was sie darin aber lesen, ist vermutlich so unergründlich wie die Tiefen der Meere – um im Stil von Charlie Chan zu antworten. „Man sieht nur, was man weiß“ soll Goethe gesagt haben. Eine Frau, die sich mit Sneakers auskennt, wird also nur Sneakers interpretieren können, rahmengenähte Brogues wären für sie nicht zu deuten. Aber vielleicht besitzen Frauen doch die Intuition, die ihnen unterstellt wird. Vielleicht kann auch eine unwissende Zwanzigjährige an einem Paar Maßschuhen von Scheer (weltberühmter Schuhmacher in Wien, wurde 1816 vom Sohn eines Winzers gegründet) ablesen, dass sie es mit jemandem zu tun hat, der Wert auf hochwertige Handwerkskunst und gute Passform legt.

Wir stehen mitten in der Berliner Krawattenmanufaktur Auerbach Berlin des dandyhaften Marketinggenies Jan-Henrik Scheper-Stuke, mit dem Sie gut befreundet sind. Wie auffällig darf eine Krawatte sein und worauf sollte sie abgestimmt werden?

Die Krawatte sollte dadurch auffallen, dass sie nicht auffällt. Sonst lenkt sie vom Gesicht ab. Also lieber ein gemustertes Hemd mit einfarbiger Krawatte als umgekehrt. Schreiende Farben und laute Muster meidet der feine Herr. Meine Lieblingskrawatte ist der dunkelblaue Strickbinder. Ich besitze an die 250 Krawatten, davon etwa 20 Strickkrawatten, davon etwa ein halbes Dutzend in Dunkelblau. Die trage ich in 9 von 10 Fällen.

Was kochen und essen Sie gerne?

Ich koche recht unraffiniert. Dabei schwanke ich zwischen deutschen bzw. mitteleuropäischen Basics wie z. B. Grützwurst mit Stampfkartoffeln, gebratene Niere mit Fenchelgemüse, Schweinekotelett mit Erbsen, einem wienerisch inspirierten Gulasch, Rumpsteak mit grünem Salat oder Omeletts von Eiern unserer eigenen Hühner. Dazu kommen meine Interpretationen italienischer Küche wie z. B. Spaghetti mit Meeresfrüchten als Vorspeise und dann gedünsteten Lachs oder auch Spaghetti mit Sardellen und Tomaten. Als Nachspeise gibt es Obst oder auch mal einen englischen Bread-and-Butter-Pudding. Auswärts esse ich gern Austern als Vorspeise, Bistecca Fiorentina oder Tafelspitz.

Der Captain hat eine Weinempfehlung für Bernhard Roetzel, die ihm zu seinem Omelett sicher schmecken wird – einen kräftigen, schön gereiften kalifornischen Chardonnay aus dem Holzfass.

Das prachtolle Ratgeber-Buch „Der Gentleman“ von Bernhard Roetzel kann hier bestellt werden.

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Datum: 28.4.2016
 

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