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Eins in die Fresse, blöder Naturwein

Ein Etikett wie die Steintafel von Moses. Ganz klar religiös...
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Der Captain hat einen Anfall. Warum werden fehltönige, schlechte und viel zu teure Naturweine in den Himmel geschrieben? Weil manche Weinenthusiasten eine Religion suchen. Doch auch biodynamischer Wein muss schmecken.
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Der Alte tobt. Doch keiner an Bord geht in Deckung, denn ausnahmsweise ist man seiner Meinung. Vielleicht nicht ganz so radikal. Aber doch. Der Alte tobt, weil er einen Blogbeitrag gelesen hat – eine von ihm hochgeschätzte Publikation. Dort hat man sich mit einem Naturwein aus Italien beschäftigt, mit den Pipparello 2004 von Paolo Bea.

Das liest sich dort so: „Nach dem Öffnen geht alles seinen Weg. Der Wein ist trüb. So richtig trüb! Dann kommt der erhoffte Schock im Geruch: purer Gemüse-Saft. Doch mit etwas Zeit im Glas und aktivem Belüften schiebt sich das Gemüse-Saft-Ensemble in die dritte Reihe und Sauerkirschen, reife Himbeeren und Brombeeren setzen sich neben edlen Hölzern, dunkle Schokolade, Zimt, Waldboden und Eukalyptus nasal nach vorne. Doch dieser Geruch ist lebendig. Ständig wechseln die dominierenden Sub-Aromen. Mal ist die Sauerkirsche weit vorne, dann Eukalyptus, Waldboden und Minuten später kommen Sellerie und die Freunde der Gemüse-Front wieder aktiv in das Riechzentrum. Hier spielt die Natur ihr ganz eigenes Liedchen. Faszinierend und geradezu süchtig machend. Dies geht zumindest mir so, denn ehrlich gesagt schreckt schon alleine der Geruch bestimmt 90 % der Otto-Normal Rotweintrinker ab. Ganz zu schweigen von dem Geschmack.“

Gut geschrieben, man kann sich viel vorstellen. Wir lesen weiter:

„Achtung – das hier ist kein Wein für fruchtverwöhnte Gaumen! Es ist einer der puristischsten, traditionellsten und konsequentesten Natur-Weine Italiens. Hergestellt nach den Grundsätzen der Biodynamie, d.h. minimales und kein chemisches Eingreifen im Weinberg, keine Zusatz von Reinzuchthefen, keine Filtration, keine Schönung und minimaler Schwefeleinsatz. Dieser Wein schmeckt so, weil er von Natur aus so schmecken soll.“

Nichts ist alles

Ganz klar, einer dieser neuen Vin-Naturel, die mal so und mal so ausfallen können. Wie schon Nicolas Joly bewies, der Papst dieser Generation Weinmacher. Ein Jahrgang supergut. Einer für den Müll. Kosten beide Geld. Einmal Glück. Einmal Pech. Einem „normalen“ Winzer lässt die Enthusiastengemeinde zwar keinen noch so geringen Korkfehler durchgehen, aber die Weine dieser Ökospinner dürfen stinken und bitter schmecken, da darf die Spontanvergärung daneben gehen. All das ist entschuldigt. Weil es Glaube ist.

Der Captain hat einen Önologen. Am eigenen Weingut in der Toskana. Und der Önologe, er heißt Andrea, liebt den biodynamischen Weinbau. Er ist anfällig für das Sektiererische und der Captain muss ihn oft bremsen. Aber generell hat Andrea recht, generell sollten Weine – wenn es möglich ist – biodynamisch hergestellt werden. Und wenn die Spontanvergärung klappt, dann kann das dem Wein eine schöne Geschmacksstruktur geben, die erdig, natürlich und gewichtig schmeckt. Die Frucht tritt dann in den Hintergrund. Verschwinden aber muss sie nicht.

Es wollte der Zufall, dass des Captains Önologe neulich erst eine Flasche Pipparello mitbrachte. Aus dem gleichen Jahrgang. Der tobende Alte hatte also die Möglichkeit, diesen Wein zu kosten. Er schmeckt Scheiße! Die Spontanvergärung ist deutlich danebengegangen, der Wein stinkt nach verwesenden Müll aus einem Großgrünmarkt. Und er schmeckt – festhalten – nach Urin und Fäkalien. Tatsache! Zugegeben: hintennach gibt es noch ein wenig Frucht, etwas Brombeere, dann Artischockensaft, Gelbwurz und Suppenkräuter.

Aber über alldem schwebt dieser unreine und stinkende Ton, der einem alles verdirbt. Der Pipparello 2004 von Paolo Bea (ein grundsympathischer Mensch, freundlich, sensibel und sicher auch politisch korrekt) ist schlicht misslungen. Nichts kann das ändern, auch die beste Schreibe nicht.

Wie kann man diesen Irrtum mögen?

Ich frage mich, wie man diesen Irrtum überhaupt ernst nehmen kann? Um das Geld (50,00 Euro) bekommt man besseres. Und das auch biologisch, spontanvergoren und mit jener Ethik gefertigt, die wir fördern wollen. Veyder-Malberg kriegt das hin. Werlitsch-Tscheppe in der Steiermark. Muster ebenda. Um jetzt nur mal die Österreicher aufzuzählen. Ja sogar die unnötigen Amphorenweine von Gravner sind gegen diesen Dreck ein Hochgenuss. Der Captain gerät geradezu ins Schwärmen, wenn er an den Breg 2004 denkt, den er kosten durfte. Im Vergleich liegen Welten dazwischen.

Also kann es nur abstruse Gründe geben, dass man sich für so einen Dreck begeistern kann. Religiöse Gründe beispielsweise. Vielleicht will man sich kasteien? Selbst bestrafen? Vielleicht ist dieser Wein eine Abbitte? Gar Buße? Aber er kann kein Vergnügen sein. Wer diesen Wein mit Vergnügen trinkt (zu was eigentlich, denn er passt zu keinem Essen), der hat einen an der Klatsche.

Wir sind weltoffen. Auch für Müll?

Gerne noch ein Zitat als Drunkenmonday: „Als interessierter und weltoffener Weintrinker -Blogger und (..) bildet man sich ein, seinen Gaumen schon mit nahezu allen Geschmacks-Eskapaden erfreut zu haben. Doch dann kommt ein „Naturwein“ aus Umbrien, der diese Theorie wieder komplett über den Haufen zu werfen mag. Säure sollte in jedem Wein eine mehr oder weniger ausgeprägte Rolle spielen. Doch in diesem Rotwein spielt sie die aller erster Geige. Doch ist das schlimm? Irgendwie nicht. Denn sie passt einfach unglaublich gut in das Geschmacksbild des Weines. Klar, hier werden jetzt weit über 95 % der Weintrinker abspringen, aber die hohe und reife Säure prägt den Wein ohne ihn aus seiner eigenen Balance zu bringen – wenn ihr versteht was ich meine. Es ist wie ein Bild aus mehreren Rot-Tönen, in dem das Knall-Rot gar nicht mehr so extrem auffällt, da der Rest ja auch mehr oder weniger Rot ist. Wie dem auch sei – so etwas habe ich bis dato noch nicht getrunken. Die Aromen aus der Nase finden sich mehr oder weniger intensiv auch im Geschmack wieder. Doch die Säure und das daraus resultierende Mundgefühl ist der faszinierende Teil dieses radikalen Getränkes. Das Tannin ist nicht körnig, es ist fast schon mehlig! Ähnlich einer Wolke aus Tannin-Staub. Irre. Dieses wundersame Geschmacks-Konglomerat hält sich wunderbar lang im Mund und verleitet den Interessierten und Faszinierten sich weiter mit diesem außergewöhnlichen Produkt der Natur auseinanderzusetzen.“

Oder – um es anders zu sagen: Der Winzer hat einfach seine Arbeit nicht gemacht. Die Säure ist unerträglich, die Tannine sind ruinös, der Wein ist radikal naturbelassen. Und deswegen eben radikal schlecht. Der Text von Nico Medenbach beweist, dass man sich mit der Kraft der Gedanken viel einreden kann.

  • Dem Captain jedoch kann man nichts einreden. Und er sich auch nicht. Wer das Experiment Pipparello 2004 (eine Cuvée aus Sangiovese, Montopulciano Abruzzo und Sagrantino) selber kosten will: es gibt ihn für 50,00 Euro.
 

Datum: 6.11.2012 (Update 8.1.2015)
 

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