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Wer freut sich nicht über Einladungen zu Partys. Bestenfalls kann man dort interessante Menschen treffen und sich amüsieren. Allerdings sind viele Zeitgenossen in Genussfragen vollkommen schmerzfrei, und das betrifft nicht nur die Musikauswahl. Man muss damit rechnen, bei derartigen Events mit allerlei eigentlich nicht essbaren Abscheulichkeiten konfrontiert zu werden.
Sehr beliebt ist z. B. eine gallertartige, geschmacklose Masse namens Mozzarella. Die hat mit handwerklich produziertem Büffelmilchkäse so viel zu tun wie die FDP mit Sozialpolitik und wird gerne zusammen mit pestizidverseuchten Treibhaustomaten angeboten. Auch die seit Jahrzehnten unvermeidlichen Nudelsalate haben von ihrem geschmacklichen Schrecken nichts eingebüßt.
Partybuffets – ein Hort voller Geschmacksneutralitäten
Ähnliches gilt für den zweifelhaften Partyknüller »Chili con Carne«, der meistens als schleimige bräunliche Brühe zubereitet und mit absurden Ingredienzien wie Dosenmais »veredelt« wird. Bei den Getränken sieht es in der Regel genauso aus. An Flüssigkeiten wie »Soave« , »Pinot Grigio« oder »Merlot aus Chile« möchte man als Weinfreund nicht einmal riechen.
Natürlich wäre es unhöflich, das Speisen- und Getränkeangebot der Gastgeber einer harschen Kritik zu unterziehen. Wer aber auf derartigen Partys weder fasten, noch seine Geschmacksnerven und seinen Magen quälen will – für den gibt es einen eleganten Ausweg: den kulinarischen Notfallkoffer (KNK). Er sichert nicht nur die bekömmliche und genussvolle Eigenversorgung während der Party, sondern auch garantiert spannende, kontroverse Debatten.
Ein Botschafter des guten Geschmacks
Erstmals setzte ich meinen KNK beim Geburtstag eines bekannten Westberliner Arbeiterführers ein. Er enthielt einige Austern, eine im Estragon-Chili-Honigmantel geschmorte Wachtel, ein paar in Knoblauch und Koriander marinierte Großgarnelen, ein bisschen Rohmilchkäse sowie dazu passenden Wein. Neben entsetzten Urteilen wie »Unverschämtheit« und »dekadenter Snobismus« erntete ich bei meiner direkt neben dem Buffet zelebrierten Selbstversorgung auch interessierte Nachfragen. Auf diesem Wege konnte ich meine Mission als Botschafter des guten Geschmacks erfüllen.
Seitdem wissen diverse Sozialaktivisten der Hauptstadt, wie man eine Wachtel anständig schmort. Und einige der härtesten Kritiker meines Auftrittes baten heimlich um ein Gläschen von den mitgebrachten Weinen, um eine kleine Wachtelkeule oder eine Auster. Seitdem besuche ich kaum noch eine Party ohne meinen KNK. Nur, wenn ich davon ausgehe, dass es nicht wirklich dringend nötig ist, lasse ich ihn zu Hause.
Doch benötigt wird er besonders in der Vorweihnachtszeit eigentlich immer. Denn völlig verdrehte innere Uhren und nahezu kultische Gewohnheiten animieren selbst erwiesenermaßen vernunftbegabte Menschen ab dem ersten Advent zur Bereitung eines Getränkes namens »Glühwein«. Das veranlasste die Süddeutsche Zeitung unlängst zu der berechtigten Frage: »Was muss ein Wein verbrochen haben, damit man ihn auf 75 Grad erhitzt, Zucker und Gewürze reinkippt und mittelalterliche Stadtsilhouetten aufs Etikett knallt«.
Glühwein im Tetrapack. Ein Irrsinn.
Nun könnte man ja einigermaßen tolerant sein, und den Glühweinwahnsinn als zwar zweifelhaften, aber leider unausrottbaren Bestandteil der Weihnachtsmarktkultur abbuchen. Doch der Irrsinn hat sich längst weitergefressen, bis in das Herz der Konsumgesellschaft: dem Heim. Längst wird das Zeug auch in Flaschen und Tetrapacks abgefüllt und millionenfach in häuslicher Umgebung vertilgt.
Wie zur Verhöhnung eines jeden Weinfreundes gibt es mittlerweile auch ein „Premiumsegment“, den sogenannten „Winzerglühwein“, bei dem die verwendete Rebsorte und manchmal sogar die Lage angegeben wird. Behauptet wird, bei diesen Exemplaren bleibe der Wein trotz Unmengen Zucker und kruder Gewürzmischungen „sensorisch erlebbar“. Alleine diese dreiste Werbelüge müsste für den Entzug der Gewerbegenehmigung reichen. Nicht umsonst empfahl der Münchner Barkeeper Stefan Gabanyi in einem Interview, statt Glühwein doch lieber gleich Motoröl zu trinken.
Ein Chianti als Geheimtipp im Koffer
Angesichts solcher Anschläge auf die körperliche Unversehrtheit ist ein in diesem Fall mit anständigem Rotwein gefüllter KNK reine Notwehr. Aktuell pflegt ihn der Lotse mit dem Casa Conforto Chianti Superiore DOCG 2009 von der Fattoria La Vialla zu bestücken. Wenn sich dessen Veilchenduft in der Nase verzogen hat, trumpft die Cuvée aus Sangiovese (80 %), Cabernet Sauvignon, Trebbiano Toscano und Canaiolo mit feinen Kirsch- und Brombeertönen auf, alles schön eingebunden in bereits gezähmte Tannine und ergänzt von milder, aber leicht prickelnder Säure.
Soviel Toscana für so wenig Geld muss man jedenfalls mit der Lupe suchen. Den Casa Conforto Chianti Superiore DOCG 2009 von der Fattoria La Vialla gibt es ausschließlich direkt ab Hof für unglaubliche 5,80 Euro. Mindestabnahme sind sechs Flaschen, dafür aber versandkostenfrei. Allerdings ist die Bestellung etwas kompliziert. Zunächst muss man per Mail einen Prospekt anfordern. Dann erhält man auch ein Passwort für Onlinebestellungen. Doch die Mühen lohnen sich.
- Casa Conforto Chianti Superiore DOCG 2009 von der Fattoria La Vialla für 5,80 Euro.
Jawoll Herr Balkon-Anorak ich kann nur beipflichten! Ich habe schon öfter auf Partys am Buffet gestanden und fassungslos beobachtet,was sich das kulinarisch meist unbewanderte Volk so an Scheußlichkeiten einverleibt! Noch schlimmer allerdings, finde ich die, zumindest in meiner Gegend (kulinarische Diaspora) ,Angebote der profesionellen Gastronomie. Was einem hier manchmal für viel Geld kredenzt wird, spottet jeder Beschreibung! Von Fertischmeck und Glutamat verseuchte, mehlgebundene Saucen in denen ein vom chemischen Weichmacher gefügig gemachtet Stück Fleisch schwimmt und dazu einen Semmelknödel aus dem Pfannipackerl! Noch schlimmer aber ist, dass die meisten Gäste diesen Fraß goutieren und gar von gutbürgerlicher Küche sprechen, sobald eine Kerze auf dem Tisch steht und das Petersiliensträußchen neben der farblosen Dekotomate vom Teller lacht! Wenn man dann als Mensch mit Geschmack wagt den Mist zu kritisieren, wird man sofort angefeindet! Wein trinke ich in der Gastronomie in meiner Wohngegend sowieso schon lange nicht mehr, da man hier komplett für blöd verkauft wird! Einen Chianti aus der zwei Wochen offenen Zweiliter Schraubpulle vom Großmarkt, das Viertel für günstige 4,80 Euro, da lacht das Gastronomenherz! Liebe Menschen werdet kritischer und nickt nicht jeden Scheißdreck im Lokal einfach ab, sondern meckert was das Zeug hält! Die gebotene Qualität würde sofort rasant steigen, wenn die Wirte merken, dass der Gast sich nicht Alles bieten lässt!
P.S: Von der Entsorgung untrinkbaren, überschüssigen Weins in Form des alljährlich wiederkehrenden Glühweinwahnsinns möchte ich garnicht reden!
Es grüßt Einer, der einen Weihnachtsmarkt unmittelbar vor der Haustür hat und gottlob noch kein einziges mal dort war
😉
da muss ja einer echt was kompensieren. wenn es eine veranstaltung gibt, auf der ich noch weniger gerne gast wäre, als auf einer party eines „berliner arbeiterführers“ und „diverser sozialaktivisten“, dann ist es höchstens eine party eines „berliner arbeiterführers“ und „diverser sozialaktivisten“ auf der sich balcerowiak neben dem buffet aufplustert und mitgebrachte austern reindrückt. bad taste.
Also ich will mal so sagen: das Mitbringen des Koffers halte tatsächlich auch für etwas übertrieben! Ich würde dann lieber auf das Essen verzichten und im Anschluß klammheimlich… Was aber die Grundaussage betrifft, so halte ich die Kritik am Geschmack bzw. der Geschmacklosigkeit vieler Menschen für durchaus berechtigt! Das müssen natürlich nicht immer gleich die Luxuslebensmittel wie Austern sein! Eine ordentliche Stulle aus gutem Bauernbrot mit einem handgemachten Käse vom örtlichen Landwirt können auch eine Delikatesse darstellen! Kostet auch nicht mehr als der plastikverpackte Industriedreck vom Discounter den man meist angeboten bekommt!
Ziemlich hochnäsig lieber Balcerowiak. Mit erhobenem Zeigefinger der Kulinarik auf Partys erscheinen und den Gastgeber brüskieren mit mitgebrachtem Essen. Machen sie das auch im Restaurant? Als Krasslinker Wasser predigen aber eigentlich nur Hummer fressen wollen. Saaaaaaaaahhhhhrrrrrrrrraaaaaaaaaaaa, wo steckst du?
Herr Balcerowiak hat partiell Recht mit seiner Einschätzung – allerdings beschränkt auf bestimmte Regionen (die HT anschaulich beschieben hat) und bestimmte Kreise – die vormalige DDR zählt sicherlich dazu (wenn denn Soljanka und Letscho bis heute zur Grundausstattung der Lebensmittelmärkte dort gehören, ist klar, wie anspruchslos und sogar nostalgisch die Sättigung der Bevölkerung dort erfolgt), ebenso die aus einfachen Kreisen stammenden Vertreter von Gewerkschaften und nahestehenden Organisationen (nach meiner Erfahrung entweder deftige, fleischhaltige deutsche Hausmannskost bevorzugend oder mit scharfer Folklore zufrieden).
Wenn man nicht ziemlich viel Geld ausgeben kann/will, ist Berlin grösstenteils geschmacklich weiterhin unterbemittelt (nach 15 Jahren in dieser aus anderen Gründen lebenswerten Stadt fehlen mir gerade süddeutsche Genusserfahrungen) – einfach, weil es in der Breite eine arme. hektische Stadt ist.
Sind Sie jetzt in den Prenzlauer Berg ins Bionade-Biedermeier umgezogen, Lotse Balcerowiak?
per carità! in der lieblings-silvester-destination der italiener kochen andrea und laurence in der calle dei girardi no. 9
u.a. feinstes chili con carne. das küchengeheimnis ist auch in buchform verewigt.
leute, entspannt euch: das ist ein literarischer text. ob b. nun den koffer mitbringt oder nicht, das ist doch nicht die frage. die haltung ist das nachahmenswerte
Bravo. Sie haben es erfasst. Die Haltung!
Köstlich…der Artikel!
Köstlich auch die vielen anderen (eß/trinkbaren) Dinge,die La Vialla so anbietet.
Nein bin ich nicht. Genuss hat etwas mit Kultur zu tun und ist eine Frage demokratischer Teilhabe. Eine nicht genussfähige oder gar genussfeindliche Linke kann mir gestohlen bleiben. Natürlich muss man gesellschaftliche Verhältnisse, die man anstrebt, auch antizipieren. Undvor allem ist gutes Essen und guter Wein nun wirklich nicht nur eine Geldfrage. Im empfehle z.B. Feiern portugiesischer Kommunisten: Alles von feinsten, kleine Preise und die Leute hauen rein.
Der Artikel spricht mir aus der Seele. Es ist insbesondere bitter, wenn sich der alte Freundeskreis im Laufe der Jahre kulinarisch null komma null weiterentwickelt. Gummi-Mozarella mit Balsamicoessig verschlimmbessert, ekelerregende Partygarnelen im Kranz mit Mayonese aus der Tube, schmieriger Supermarkträucherlachs mit Glutamat-Senfdressing und Grill-Gammelfleisch aus der Packung in Chemie-Fertigmarinade ertränkt, dazu morbider Billig-Frizzante aus dem Diskounter gelten bei Vielen noch immer als kulinarischer Hochgenuss. Man atmet dann bereits erleichtert auf, wenn auf der Feier außer Becks-Gold, Desperado oder anderem Getränkehorror á la Fertig-Spritz wenigstens ein lokales Bier serviert wird – welches sich überhaupt als solches bezeichnen lässt und mit dem man wenigstens einen Anstands-Happen herunterspülen kann, ohne alles wieder von sich geben zu müssen. Leider lässt sich die mangelnde Begeisterung über solch kulinarische Desaster immer schwerer verbergen und man gilt schnell als Snob. Es ist ein Dilemma: Schweigen und leiden oder neuer Freundeskreis.
Es gibt Restaurants, in denen der kulinarische Notfallkoffer sicherlich überflüssig ist. Die kann ich mir aber in der Regel nicht leisten. Und in die anderen gehe ich nicht. Ich koche fast jeden Tag. WEnn wir mal zu viert ein paar Austern, eine anständige Tofu-Lachsterrine, ein paar geschmorte Wachteln, ein nettes Halbgefrorenes und ein bisschen Rohmilchkäse nebst vernünftigen Weinen reinziehen, kostet das pro Person maximal 15 Euro.
Ich predige nicht als „Krasslinker Wasser“, sondern propagiere Genussfreude abseits bourgeoiser Allüren. Mir ist auch schon immer auf den Keks gegangen, wenn irgendwelche Autonomen Discounter entglasen und palettenweise Chips und „Sternburg-Pils“ auf die Straße tragen, statt in einer gut geplanten Kommandoaktion ausreichend Gänsestopfleber und Champagner aus dem KaDeWE zu holen. Aber wahrscheinlich haben die Dario Fos Umverteilungshymne „Bezahlt wird nicht“ nicht gelesen.
Fazit: Genussfreude ist ebensowenig bürgerlich, wie schlechter Geschmack proletarisch oder revolutionär
mal schön langsam. wenn man chili con carne und soljanka als sättigungsmampe der geschmacklosen abhakt, stattdessen mit austern und wachteln kontern muss und den verbalen kleinfinger abspreizt, ist das albernes getue. da hab ich sofort bock auf ne currywurst, uns sei es nur aus protest. mir egal, was da drin ist.
bei mir kocht die haubenköchin jeden abend für mich und den vielfrässigen nachwuchs. wenn madame eine soljanka macht, oder saure lüngerl oder sonstige, häufig abgelehnte gerichte, dann kann der balzerowiak sein geflügel wieder einpacken.
Saure Lüngerl? Ich bin begeistert! Darf ich mal kommen? Biete im Gegenzug Einladung zu Kalbsnieren in Weißwein-Senfsoße oder in Rotwein geschmorte Lammherzen.
Auch eine richtige Soljanka kann was unglaublich geiles sein. Und in der Kneipe bei mir um die Ecke gibts manchmal hausgepökeltes Eisbein mit selbstgemachtem Erbspüree oder Pferderouladen. Lecker!! Aber das alles hat noch nichts mit dem Horrorfraß geschmackloser Zeitgenossen zu tun.
Also wo ist das Problem?
das mit der pferderoulade würde mich auch interessiern…
Die Kneipe heißt „Zum Stammtisch“ und ist mitten im Moabiter Kiez (Bredow/Wiclefstraße). Ich sage gerne Bescheid, wenn es im Januar wieder Pferderouladen gibt
die Wein- und Speisekarte des „Zum Stammtisch“ scheint wohl dem kulinarischen Verständnis des Lotsen Balcerowiak zu entsprechen….
Ich rede nicht von der Wein- und Speisenkarte des Lokals sondern von Pferderouladen und hausgepökeltem Eisbein, das die Wirtin seit rund 40 Jahren in unregelmäßigen Abständen anbietet. Snobistische Vorurteile gegen Alt-Berliner Eckkneipen zeugen jedenfalls von einem äußerst limitierten Genussverständnis
na ja, Lao-tse Balcerowiak, trinken Sie dann zur Pferderoulade einen 0,2l Rheinhessen lieblich zu 3,80,-? Ich dachte, Sie hätten was gegen überteuerte Tröpfchen?
Allerdings hege ich doch noch die leise Hoffung, dass es sich bei der Speisekarte um ein berliner Lüftchen aus Ironie handeln könnte (..raffiniertes Arrangement, ….. eine Scheibe Champignon…).
Lotse B.: ich mag Eckkneipen sehr gerne. Aber sowas wie ihre Stammkneipe wäre in meiner Heimatgegend aus Qulitätsgründen in Bälde pleite.
Ach, Gast, Sie haben keine Ahnung, wovon Sie reden. Balcerowiak und wer da sonst noch was auf sich hält, trinkt zur Pferderoulade Engelhardt-Pils. Die Speisekarte ist nur eine Kriegslist, um Schnösel auf Abstand zu halten, auf die wir am Stammtisch gern verzichten können.